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Was nicht im Abschluß steht, Teil 2 von 3 – Stille Reserven

Von Lars E.

Letzte Aktualisierung am: 20. März 2017

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

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Was nicht im Abschluß steht, Teil 2 von 3 – Stille Reserven
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Haben wir uns gestern über Außerbilanzgeschäfte und Eventualverbindlichkeiten verbreitet, die wenigstens noch „unter der Bilanz“ angegeben werden müssen (§251 HGB, IAS 37), schauen wir uns in diesem Artikel mal die sogenannten „Stillen Reserven“ an, die nirgendwo im Abschluß zu erkennen sind, auch nicht „in einem Betrag“ zusammengefaßt (§251 HGB).

Stille Reserven oder Stille Rücklagen sind faktisch vorhandene Unternehmenssubstanz, die aber nicht aus dem Jahresabschluß erkennbar ist, weil durch Maßnahmen der Gewinnermittlung entweder Aktiva zu nieder und/oder Passiva zu hoch angesetzt wurden und dadurch das Bild von der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage ungünstiger dargestellt ist, als dies erforderlich gewesen wäre. Das ist im Handelsrecht besonders häufig. Dort kommen sie durch durch gezielte Ausübung bilanzpolitischer Wahlrechte und Beurteilungsspielräume oder durch gesetzliche Vorschriften zustande, die eine Tageswertbilanzierung nicht zulassen, wie das Niederstwertprinzip für Bewertung der Aktiva oder das Höchstwertprinzip bei der Bewertung der Passiva).

Stille Reserven der Aktivseite entstehen im deutschen Jahresabschluß einzelnen durch:

  • Bilanzierungsverbote: Insbesondere das Bilanzierungsverbot des §248 Abs. 2 HGB schließt eine ganze Kategorie von Vermögensgegenständen aus der Bewertung aus. Der Bogen spannt sich von Markenrechten über Software bis hin zum originärem Geschäfts- oder Firmenwert, denn all diese sind (meist) unentgeltlich erworben.
  • Unterbewertung von Anlagen: Abschreibungsvorschriften erlauben häufig, Anlagen aller Art höher abzuschreiben als das ihrer wirklichen technischen Lebensdauer entspricht. Obwohl das Steuerrecht Einschränkungen in dieser Richtung vorgenommen hat und derzeit praktisch alle Sonderabschreibungen der Vergangenheit gestrichen worden sind1, gibt es immer noch praktisch unterbewertete Sach- oder Finanzanlagen.
  • Vollabschreibung der geringwertigen Wirtschaftsgüter: Werden diese nach §6 Abs. 2 EStG am Ende des Anschaffungsjahres ganz abgeschrieben, so entsteht eine Stille Reserve, weil diese Güter ja faktisch noch vorhanden und nutzbar sind.
  • Außerplanmäßige Abschreibungen: Steuerpflichtige tendieren aus ertragsteuerlichen Motiven zur Buchung außerordentlicher Abschreibungen. Sogar benachbarte Schulen und Kindergärten wurden schon als Begründung von Wertminderungen herangezogen, was i.d.R. nur darauf deutet, daß der Steuerpflichtige seine Steuerlast reduzieren möchte. Tendenziell entstehen auf diese Art häufig Stille Reserven.
  • Wahlrechte hinsichtlich der Nutzungsdauer von Anlagegütern: Da das Handelsrecht keine Vorschriften über die Nutzungsdauer kennt, werden hierfür meist die steuerlichen AfA-Tabellen herangezogen. Die dort festgelegten (fiktiven) Nutzungsdauern sind seit der Reform im Jahre 2001 eher realistisch (und manchmal schon zu lang) angesetzt. Aus der Zeit davor und aufgrund individueller Argumentationen mit den Finanzbehörden kann es jedoch zu zu kurzen Nutzungsdauern kommen.
  • Alte Sonderabschreibungen: Eine Zahl von Gesetzen erlaubte früher Sonder- und Fördergebietsabschreibungen. Auch wenn diese Gesetze schon seit Jahren außer Kraft sind, sind die damals abgeschriebenen langlebigen Wirtschaftsgüter wie beispielsweise Immobilien bis heute unterbewertet (oft völlig abgeschrieben). Die Fortwirkung solcher Regelungen kann sich also noch über Jahrzehnte erstrecken.
  • Nichteinbeziehung von Gemeinkosten in die Herstellkosten: Wird das diesbezügliche Wahlrecht ausgeübt, kommt es i.d.R. zu einer faktischen Unterbewertung. Der Fall ist selten, weil steuerrechtlich die Gemeinkosten einbezogen werden müssen. Problematisch ist in diesem Fall die Abgrenzung zwischen Kosten und Aufwendungen, denn obwohl die Rechtsvorschriften ständig von „Kosten“ sprechen, meinen sie in Wirklichkeit doch ausschließlich Aufwendungen. Die Einbeziehung kalkulatorischer Kosten ist unmöglich, wohl aber die neutraler Aufwendungen wie der Fremdkapitalzinsen. Selbst dann aber kommt es i.d.R. noch zu einer faktischen Unterbewertung, da die kalkulatorischen Zinsen auf Anlagen, die in Bargeld bezahlt wurden, nicht einbezogen werden.
  • Zu niedriger beizulegender Zeitwert: Wird die „vernünftige kaufmännische Beurteilung“ des §253 Abs. 2 Satz 3 HGB (Anlagevermögen) oder §253 Abs. 3 Satz 3 HGB (Umlaufvermögen) sowie des §253 Abs. 4 HGB „zu vorsichtig“ ausgeübt, kann es zu einer Unterbewertung kommen.
  • Beibehalten von Teilwertabschreibungen nach entfallener Begründung: Nach §253 Abs. 5 HGB dürfen Teilwertabschreibungen handelsrechtlich beibehalten werden, wenn der Grund hierfür entfallen ist. Spätere Wertsteigerungen beispielsweise bei künftig ansteigenden Börsen- oder Marktpreisen werden daher „nicht mitgenommen“. Dies führt zu einer offensichtlichen Unterbewertung, ist aber selten, da Teilwertabschreibungen bei vorübergehender Wertminderung steuerlich unzulässig sind und in der Praxis solche Wahlrechte meist in Übereinstimmung mit beiden Regelungskreisen ausgeübt werden.
  • Bewertungsvereinfachungsverfahren: Diese führen bei bestimmten Datenkonstellationen zu einer Unterbewertung des Lagerbestandes. Beispielsweise bewertet das LIFO-Verfahren bei steigendem Einkaufspreis der Ware den Bestand zu gering.

Auf der Passivseite entstehen Stille Reserven insbesondere durch:

  • Überbewertung von Fremdwährungsverbindlichkeiten: Diese sind aufgrund des Vorsichtsprinzips aufzubewerten, wenn zum Stichtag der Valutakurs ansteigt, dürfen aber nicht wieder abgewertet werden, wenn der Fremdwährungskurs vor der Bezahlung der Schulden sinkt. Dies kann an jedem Stichtag zu einer ruckweisen Erhöhung der Fremdwährungsverbindlichkeiten führen, denen in aller Regel keine nach Kurswert gleichhohe Zahlungsverpflichtung entgegensteht.
  • Bildung überhöhter Rückstellungen: Der in eine Rückstellung eingestellte Betrag ist ebenfalls nach dem Vorsichtsprinzip zu bemessen und wird daher oft zu hoch eingeschätzt. Die in der Rückstellung verkörperte Schuld ist damit überbewertet.

So verschleiern die Stillen Reserven die Lage der Unternehmung eher als daß sie sie dem sachverständigen Dritten offenbaren. Das Vorsichtsprinzip als Primärgedanke des Handelsrechts ist hier eher schädlich als nützlich. Es wundert daher nicht, daß Stille Reserven eher eine handelsrechtliche Spezialität sind: im internationalen Rechnungswesen kommen sie kaum vor. Die IAS/IFRS-Bilanz ist damit viel aussagekräftiger.

Steuerrechtlich sind bei Tausch von Vermögensgegenständen stille Reserven übrigens aufzudecken (§6 Abs. 5 EStG). Diese Regelung gilt seit Veranlagungszeitraum 1999 und stellt eine Steuerverschärfung dar, wurde aber gerade rückwirkend ab Anfang 2006 leicht abgemildert.

Quellen: Was nicht im Abschluß steht, Teil 1 von 3 – Außerbilanzgeschäfte | Skript zu IAS/IFRS | Skript zum handelsrechtlichen Jahresabschluß | Steuererleichterungen passieren den Bundesrat


Bildnachweise: © rcfotostock/Fotolia.com

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Über den Autor

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Lars E.

Lars schloss 2015 sein Studium in Betriebswirtschaftslehre ab. Anschließend absolvierte er ein Volontariat in einer kleinen Kölner Redaktion. Seit 2017 ist er fester Bestandteil des Redaktionsteams von betriebsausgabe.de. Hier kann er sein fachliches Wissen mit dem Anspruch, verständliche Texte rund ums Steuerrecht zu schreiben, miteinander kombinieren.

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