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Prozeßkostenrechnung: warum sie nicht funktioniert

Von Lars E.

Letzte Aktualisierung am: 26. August 2022

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

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Schon zu Zeiten meines Studiums war die Prozeßkostenrechnung ein heißes Thema. Sie ist es noch heute. Dennoch haben sich kaum wirklich funktionierende Ansätze gezeigt: anders als die fast universell einsetzbare Zuschlagskalkulation gibt es noch immer kein generalisierbares und in vielen Branchen anwendbares Verfahren der Prozeßkostenrechnung.

Warum? Dieser kleine Beitrag erklärt weshalb, und deckt einige unangenehme Wahrheiten auf.

Zugrundeliegende Definitionen

Wie die Kostenrechnung allgemein auf Definitionen beruht, so legt auch die Prozeßkostenrechnung Basisdefinitionen zugrunde. Analog dem Qualitätsmanagement, dessen Kind die Prozeßkostenrechnung ist, wird ein Prozeß als System von Tätigkeiten definiert. Hauptprozeß ist eine Summe von unselbständigen Teilprozessen: so sind das Löten oder Befestigen von Elementen jeweils Systeme von Tätigkeiten (mehrere Schrauben, mehrere Lötstellen), aber auch unselbständig: „Montage“ oder ein Produktionsschritt wäre der Hauptprozeß.

Ablauf statt Funktion

Kernidee der Prozeßkostenrechnung ist es, Prozesse zu bewerten. Da man nicht jeden Teilprozeß bewerten kann (oder will), werden die einzelnen Teilprozesse zunächst aufgrund von Konstruktions- oder anderen Unterlagen zu Hauptprozessen zusammengefaßt. Die Prozeßkostenrechnung geht also nicht funktionenorientiert vor, wie die Zuschlagsrechnung, die für jede Abteilung ein Kostenverhältnis ermittelt und damit kalkuliert, sondern ablauforientiert: was mit einem Produkt wirklich passiert, soll auch abgerechnet werden. „Cost Driver“ ist hierbei die zugrundegelegte Meßgröße, also etwa die Kosten pro Schraube oder pro Lötstelle. Die Prozeßkosten entstehen, wenn die Summe der zu Hauptprozessen aggregierten Teilprozesse mit den ihnen zugrundeliegenden Cost Driver Maßzahlen ausmultipliziert wird. Man könne also, so die Verfechter der Prozeßkostenrechnung, jeden Teilprozeß verursachergerecht bewerten und damit sehr präzise die Selbstkosten bestimmen – genauer, so wird behauptet, als mit Hilfe der Zuschlagsrechnung. Das aber bestreiten wir an dieser Stelle ganz energisch.

Petrifikation, oder von der Versteinerung des Betriebes

Versteinerung tritt ein, wenn Abläufe erstarren und sich nicht mehr an Kundenbedürfnissen orientieren. Das Phänomen kennt, wer schon mal ein Qualitätsmanagementsystem (QMS) installiert hat, denn auch hier müssen Abläufe in Verfahrensanweisungen (VA) festgelegt werden, und wer nicht nach der VA handelt, der handelt außerhalb des QMS. Und das bedeutet, im Effekt, Dienst nach Vorschrift: was einst eine Form des Streiks war, wurde von der ISO 9000 zur grundlegenden Arbeitsmethode erhoben – und wird jetzt zur Grundlage der Kostenrechnung erklärt.

Stoppuhren allüberall

Man muß nämlich, will man eine Prozeßkostenrechnung in Gang kriegen, alle überhaupt nur möglichen Arbeitsschritte vorher festlegen und genau ausmessen – ist Zeit beispielsweise die Cost Driver Größe, was im Rahmen einer Maschinenrechnung ja sinnvoll ist, müßte jeder Löt- oder Montagevorgang zuvor gestoppt werden. Das mag für Maschinen funktionieren, aber geht es auch für menschliche Monteure? Und, viel schlimmer: wie bemißt man die Kostentreibergröße eines Verkaufsgespräches oder einer kreativen Entwurfsprozesses eines Grafikers oder Programmierers?

Gemeinkosten, unermeßliche Gemeinkosten

Sind diese Nachteile noch gleichsam technische Schwächen, denen man vielleicht mit viel Akribie und Fleiß begegnen kann, versagt die Methode grundlegend bei produktfernen Arbeitsgängen etwa in der Verwaltung, im Einkauf oder auch im Vertrieb: man kann schon nicht ohne massive (und gegen den Datenschutz verstoßende) Überwachungsmaßnahmen die Telefon-, Schreib- und Gesprächszeiten und -zusammenhänge einer Verwaltungsmitarbeiterin exakt erfassen, aber selbst wenn man dies täte (und dürfte), wie will man die erhobenen Daten einem Produkt zuordnen? Die Prozeßkostenrechnung versucht nämlich, über die Kostentreibermethode alle Kosten gleichsam zu Einzelkosten umzudefinieren. Das funktioniert aber nur in Produktions- und nicht in anderen Abteilungen.

Nur Insellösungen – und selbst die nicht immer!

Es wundert daher nicht, daß die Prozeßkostenrechnung noch immer im wesentlichen nur für automatische Produktionsprozesse eingesetzt wird, denn diese sind sekundengenau zu erfassen und abzurechnen. Hier und nur hier funktioniert das Verfahren – einigermaßen. Woanders kann man es gänzlich vergessen. Eine brauchbare Prozeßkostenrechnung schon im Kommissionierlager ist schwierig, im Einkauf oder gar in der Lohnbuchhaltung aber vollkommen unmöglich. Das heißt nicht, daß keine Schlüsselgrößen denkbar wären – es bedeutet nur, daß man diese nicht den jeweiligen Leistungen des Unternehmens sinnvoll zurechnen kann, also durch Ausmultiplikation der pedantisch genau erhobenen Kostentreiber mit ihren Prozessen nur dieselbe Gemeinkostensumme erhielte, die man weitaus einfacher auch in einem traditionellen BAB erhalten würde – was die ganze Operation ad absurdum führt.

Ohne Fleiß kein Preis

Jedes Kostenrechnungssystem lebt von den zugrundegelegten Definitionen. So muß man sich damit herumschlagen, weshalb durch den Kauf einer Maschine Ausgaben oder Auszahlungen, manchmal nur Auszahlungen und keine Ausgaben oder nur Ausgaben und keine Auszahlungen, niemals aber Aufwendung und/oder Kosten entstehen, weshalb für eine in bar bezahlte Anlage dennoch Zinskosten entstehen und warum diese sich nicht ändern, wenn der Bankschuldzins sich ändert, sehr wohl aber steigen, wenn das Insolvenzrisiko steigt. All diese den Anfänger zweifellos verwirrende Fragen sind komplex aber fundamental wichtig. Alle (!) betrieblichen Abrechnungssysteme – Finanzplanung, GuV, Bilanz und Kostenrechnung – basieren auf solchen Basisdefinitionen. Die Prozeßkostenrechnung ist auch angetreten, dieses Problem zu erleichtern – und hat dazu geführt, daß Zahlungen in die Kosten gerechnet und kalkulatorische Kosten vernachlässigt werden. Dann kann man es aber auch lassen, denn eine solche Kostenrechnung schadet mehr als sie nützt.

Quellen

Zingel, Harry: „Lehrbuch der Kosten- und Leistungsrechnung. KLR in Theorie und Praxis“, ISBN 3-937473-05-X, 20,80 EUR im Buchhandel oder auf der BWL CD bereits als PDF enthalten.

Bildnachweise: © Zerbor/Fotolia.com

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Über den Autor

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Lars E.

Lars schloss 2015 sein Studium in Betriebswirtschaftslehre ab. Anschließend absolvierte er ein Volontariat in einer kleinen Kölner Redaktion. Seit 2017 ist er fester Bestandteil des Redaktionsteams von betriebsausgabe.de. Hier kann er sein fachliches Wissen mit dem Anspruch, verständliche Texte rund ums Steuerrecht zu schreiben, miteinander kombinieren.

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